Rede
der Aktion Noteingang zur Entgegennahme des Aachener
Friedenspreises 2000 Liebe Freunde, liebe Genossinnen und
Genossen,
Sehr geehrte Damen und Herren,
"Ich kann mich nicht
gegen Rassismus positionieren, da dies eine politische
Positionierung ist und ich als Bürgermeister neutral
bleiben muss." Sagte der Bernauer Bürgermeister
1999, als er gefragt wurde, warum er den Noteingang-Aufkleber
nicht anbringt und allen städtischen Einrichtungen
ebenfalls die Teilnahme an der Aktion Noteingang
untersagt.
Der Delitzscher Bürgermeister
äußerte erst kürzlich, dass das Motto "Gegen
Faschismus" kein politisch neutrales sei und deshalb
ein Konzert unter diesem Motto im städtischen Jugendklub
nicht stattfinden kann. In Delitzsch sind Überfälle und
Angriffe auf Kinder, Jugendliche und deren Eltern, die
nicht ins Bild der Neonazis passen, weil sie nicht-deutsch
oder links aussehen, alltäglich. Auf offener Straße, in
der eigenen Wohnung, mit Waffen oder Fäusten- alle
schauen zu, die Opfer bleiben allein und ihnen bleibt nur
noch der Wegzug aus dieser Stadt.
Das ist heute Alltag in
Deutschland: Neonazis gehören zum Stadtbild, wer sich
gegen Faschismus äußert ist mindestens links, "einer
von denen", oder gar einer von den "Chaoten".
Ausländer sind die, für die hier kein Platz ist, denn
"die Grenze der Zuwanderung ist überschritten"
wie unser Innenminister Schily erst kürzlich sagte. Sie
sind nicht willkommen. Statt Begrüßungsgeld gibt es
heute meist eine unfreiwillige Rückflugkarte:
Zwangsabschiebungen, wie sie Lufthansa gern durchführt,
mit oder ohne Gewaltanwendung je nach Bedarf, sind
ebenso Alltag. Neonazistische Gruppen rufen zum
militanten Terror auf, Anschläge, Briefbomben,
Morddrohungen, Brandstiftungen. Auch daran scheint sich
Deutschland wieder zu gewöhnen.
"Was hat der auch so
spät noch auf der Straße zu suchen?" fragte der
Spremberger Bürgermeister angesichts des Todes von Omar
Ben Noui, als dieser im Zuge einer nächtlichen Hetzjagd
zu Tode kam. Gleichzeitig forderte der Bürgermeister ein
Ausgangsverbot für Asylbewerber ab 22 Uhr. Wir fordern
ein Redeverbot für rassistische Bürgermeister.
Derlei Zitate haben wir in
den letzten Jahren viele sammeln können. Rassistische Äußerungen
von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, von
politischen und gesellschaftlichen Verantwortungsträgern,
sind Alltag geworden und fallen kaum noch auf. Damit öffnen
Sie den Raum für faschistisches Gedankengut, in dem sie
es legitimieren- in dem gezeigt wird, dass der Bürger
denkt, was der Nazi auf der Straße handelt. Den
Rechtsradikalen wird damit der Rückhalt geboten, aus
welchem heraus ihre Taten nur möglich sind.
Jede rassistische Äußerung
eines Politikers zieht eine rassistische Tat nach sich.
Im Sommer 1998 sahen wir
uns wieder einer sog. "Welle" von rassistischen
Gewalttaten gegenüber. Wieder gab es die unsäglichen
Angriffe - in Form von Pöbeleien, Beschimpfungen, Verächtlichmachungen,
Rempeleien und Schlägen. Wieder berichtete die Presse
von gewaltsamen Überfällen auf Camper und Reisegruppen.
Wieder gab es Polizeibeamte, die nicht die Personalien
der Täter feststellten, sondern die "Ausländer"
auf die Polizeiwache schleiften, um sie bis zum
Morgengrauen mit Handschellen an die Heizung zu Fesseln.
Und dieses mal häuften sich die Angriffe kurzzeitig über
einige Wochen lang soweit, dass selbst die Regionalpresse
nicht mehr darum herum kam, darüber zu berichten.
Uns, die wir aus Bernau,
Strausberg, Neuruppin, Kyritz und all den anderen Städten
Brandenburgs kommen, war das Problem rechtsradikaler
Gewalt nicht neu.
Seit Jahren sind einige
von uns dabei sich in kommunale Belange einzumischen, mal
als Stadtverordnete der Alternativen Jugendliste, mal mit
antifaschistischen Straßenfesten. Antifaschismus gehört
für uns als Selbstverständlichkeit mit zu unserer alltäglichen
Praxis. Wir sind AntirassistisInnen und AntifaschistInnen,
die sich nicht mit Toleranzerklärung abfinden werden,
die eine Veränderung dieser Zustände einfordern.
Einigen von uns werden in
ihren Städten als Exoten betrachtet, viele als Störenfriede
gesehen, die schlechte Presse für die Stadt bringen,
weil wir öffentlich machen, was keiner sehen will.
Die Betroffenen der
rassistischen Gewalt sind Menschen, die entweder "fremd"
aussehen, für "Russen" gehalten werden oder
aber mit ihrem jugendkulturellen Stil als "Linke"
stigmatisiert werden. Die Täter sind meist jung, männlich,
nach eigenem Verständnis deutsch und mal bekennende
Rechtsradikale, mal "Unpolitische" aber schon
eher rechts.
Diese Angriffe auf Leib
und Leben, diese Entwürdigungen von Menschen machen
Angst. Die Täter bewegen sich mit einer Unverfrorenheit
und Selbstverständlichkeit im Alltag, in der Öffentlichkeit
"ihrer" Stadt und schaffen ein Klima der Angst-
nur zu spüren für die, die nicht in die Kategorien
dieser selbsternannten deutschnationalen Sittenwächter
passen.
Es wird nicht wahrgenommen
von denen, die mit Politik nicht zu tun haben wollen,
heimlich unterstützt von denen, die glauben
Arbeitslosigkeit entsteht durch Migration und offen den Rücken
gestärkt durch diejenigen, die Flüchtlinge als Asylbetrüger
diffamieren.
Rassistische und
faschistische Gewalt sind alltäglich geworden. Sie sind
auch möglich, weil sich eine Gesellschaft nicht verhält
und keine Position bezieht.
Aktion Noteingang war eine
Reaktion- gedacht als praktische Provokation, als Idee,
als Herausforderung an das tolerante brandenburger Völkchen.
"Aktion Noteingang"
wollte genau dort ansetzen, wo die rassistischen
Gewalttaten ihren Rückhalt haben, in der Mitte der
Gesellschaft, in der Öffentlichkeit.
"Aktion Noteingang"
wollte die Öffentlichkeit in die Verantwortung nehmen für
das, was sich vor ihrer Tür abspielt.
Die Ergebnisse sind ernüchternd
und in Erfahrungsberichten und Statistiken nachlesbar in
unserer Broschüre.
Dort ist beschrieben, wie
schwierig es war Bündnispartner in den Kommunen zu
gewinnen und wie die Aktion auch oft genug nicht durchgeführt
werden konnte, mangels Unterstützung für die
Initiatoren.
Nachlesbar ist auch, wie
unterschiedlich die angesprochenen Bürgerinnen und Bürger
versucht haben, sich einer eindeutigen Positionierung gegen Rassismus zu
entziehen.
Die Idee des Projektes
"Aktion Noteingang" geht weiter. Rassismus und
Faschismus sind kein alleiniges brandenburger Problem.
Und so gibt es neben Anfragen aus weiteren Kommunen
Brandenburgs auch konkrete Vorbereitungen von Gruppen in
Leipzig und Halle, die am 1.September starten die Aktion
durchzuführen.
Wir brandenburger Gruppen
und Initiativen haben uns durch die Aktion vor gut einem
Jahr zu einem Netzwerk zusammengefunden.
Das nun entstandene
Antirassistische Jugendbündnis gibt uns Raum und Kraft für
weiteres gesellschaftliches Engagement und politisches
Handeln. Das ist nicht genug! Wir brauchen die
Zivilcourage gegen Rassismus und Faschismus auf der
Strasse und in den Parlamenten.
Die Verleihung des
Aachener Friedenspreises ist für uns mehr als nur eine Würdigung-
sie ist die Anerkennung eines dringenden politischen
Engagements, dass uns bestärkt weiterhin dafür
einzutreten, dass Menschenwürde und Antifaschismus zu
Selbstverständlichkeiten in unserer Gesellschaft werden.
Dafür möchten wir danken.
Gleichzeitig und vor allem
im Zuge der momentanen großen öffentlichen Debatte um
Rechtsextremismus lassen wir uns nicht zum "Feigenblatt
eines besseren Deutschlands" funktionalisieren. Es
ist gerade durch Aktion Noteingang ganz deutlich geworden,
dass Zivilcourageforderungen in einem Kampf gegen Windmühlen
endet, wenn es nicht einen eindeutigen und klaren Wechsel
in der Bundesdeutschen Politik gibt. Solange durch die
rassistische Asylgesetzgebung Menschen zweiter und
dritter Klasse definiert werden, denen grundlegende
Menschenrechte versagt bleiben, solange kann sich jeder Bürger
und jede Bürgerin mit Fug und Recht hinter dieser
politischen Praxis verstecken und daran orientieren und
solange kann sich auch jeder Neonazi, der Menschen
diskriminiert, zusammenschlägt und tötet auf diese
Politik berufen. Es ist klarzustellen: Rassismus ist
keine Meinung, sondern tötet!
Das Recht auf Asyl sollte
als Menschenrecht akzeptiert und darf nicht mit der
Diskussion um die Einwanderergesetze endgültig
abgeschafft werden. Die Praxis, wie mit AsylbewerberInnen
umgegangen wird, beraubt sie ihrer Freiheit sich zu
bewegen, ihrem Recht auf Privatsphäre und vor allem
ihrer Menschenwürde. Die Praxis des Wertgutscheinsystems,
der Residenzpflicht, der Unterbringung in Vielbettzimmern
in Heimen, die fernab jeder Zivilisation liegen und das
Arbeitsverbot sind schlichtweg rassistisch und in einer
sich demokratisch nennenden Gesellschaft nicht akzeptabel.
Deshalb ist es wichtig, Flüchtlinge,
die sich gegen diesen Alltag wehren, zu unterstützen und
sich mit ihnen solidarisch zu verhalten. Wir widmen darum
diesen Preis der Rathenower Flüchtlingsgruppe, die sich
seit Jahren unter Hinnahme aller Repressionen aktiv um
eine Selbstorganisierung und eine Verbesserung ihrer
Situation bemüht.
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